Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe

Lost in India

Was ich in Indien auf der Suche, etwas zu finden, bereits alles verloren habe [unvollständig]:

Drei Handys (zwei im Jahre 2004, eins vor zwei Monaten… in der Rickshaw, im Lokal, im Büro)

Einen Ring (einen Monat alt, im Badezimmer meines Hotels in Mussoorie)

Ein Duschgel (selber Ort, selbe Zeit, selbst schuld)

Eine Geldkarte (in einem Bankautomaten nahe Connaught Place vergessen, zerstört… die Karte!)

Ein Scheckbuch (im American Diner’s, vor lauter Freude über den neuen Mietvertrag)

Einen Adapter für indische Stecker (im Hotel und ehrlichgesagt nie vermisst)

Eine komplette Umhängetasche (vom Kellner aufbewahrt… seit dem klebe ich an alles Zettel)

Meine Freundin (vor sechs Wochen, jedoch bereits vor einem Jahr)

Beauty walks a razor’s edge

Traumartig der Beginn, die ersten Zeilen nach Einsetzen der einfachen Melodie, und wer denkt da nicht an….

„Early one mornin’ the sun was shinin’
I was layin’ in bed
Wond’rin’ if she’d changed at all
If her hair was still red

tangled up in blue

Zwei Wochen in Deutschland fransen langsam, aber sicher aus und die Seiten des vergangenen Kapitels sind bald ausgelesen. Viele Fahrten quer durch die Republik waren von viel und wohl vertauter Musik begleitet, zu den Klängen von U2s „Rattle & Hum“ zurück in die Endachtziger, mit Wilco auf der Suche nach „Radio cure“ der vergangenen Jahren, mit Arcade Fire den Wagen immer weiterfahren lassen, mit Springsteen vorbei an den Städten aus Ruinen…

Bevor ein Tropfen zu Boden fällt

Bevor auch nur ein Tropfen zu Boden fällt

Hängengeblieben, an den Straßenrand gefahren und ein wenig geweint habe ich jedoch mit Bob Dylan und seinem unermesslich schönen Album „Blood on the tracks“ aus dem Jahre 1975.

Mit viel Dankbarkeit blicke ich auf die vergangenen Jahre zurück, im Wissen, sie nicht zu vergessen und sie nicht zu verlieren. Daran können sechs Wochen auch nichts ändern. Mit dem Finger auf der Repeat-Taste schickte ich also das neunte Stück „Shelter from the storm“ auf der Umleitungsstrecke zwischen Salzgitter und Braunschweig in die Endlosschleife und war im Stillen dankbar für Zeilen wie…

„Well, I’m livin‘ in a foreign country but I’m bound to cross the line
Beauty walks a razor’s edge, someday I’ll make it mine
If I could only turn back the clock to when God and her were born
„Come in,“ she said, „I’ll give you shelter from the storm““


Schönheit balanciert auf der Rasierklinge… Wir steigen von unseren Podesten herunter und hören auf, so zu sprechen als wären wir pathetische Figuren aus einem viel zu epischen Roman (Gruß nach Norden)… uns daran erinnernd, dass uns ein Drei-Minuten-Lied oftmals mehr beibringen kann als alles andere. Oder wie Craig Finn von The Hold Steady es mantragleich wiederholt:

„Man, we make our own movies“

Was einstmals Hunde waren, sind heute Katzen…

Seit drei Wochen bin ich wieder in Delhi, zwei Wochen sind seit dem Gespräch vergangen, dass die Zeit in ein Vorher und in ein Nachher einteilt, und ich spüre, es ist an der Zeit, einmal kurz innezuhalten, tief durchzuatmen und das Kettenhemd aus Zweifel, Angst und Vorwürfen für mehr als ein paar Minuten abzulegen und es den Katzen gleichzumachen: Den Blick nach vorne richten, sei es, um dem nächsten Regentanz ums Futter entgegenzusehen, sei es, um aus der selbsterwählten Ecke herauszukommen und andere Katzen über den Haufen zu rennen.

Lange Telefonate können die gleiche Wirkung wie Yoga haben, die Zeit schreitet unbemerkt voran, die Übungen werden vertrauter und trotz tausend anderer Dinge, die möglich wären, stellt sich ein Gefühl der Zufriedenheit ein. Noch immer viele Stufen zum vom Yogatrainer unprätentiös apostrophierten peace of mind, aber immerhin kleine vertrauensbildende Maßnahmen.

Unity in Diversity

Unity in Diversity

(Die hoffentlich eher zum Ziel führen als die einmal wieder derzeit zu beobachtenden diplomatischen Bemühungen zwischen Indien und Pakistan, bei denen es allzu oft nur darum ging zu klären, sich über die Ranghöhe der Politiker auszutauschen, die beim nächsten Treffen darüber verhandeln, worüber sie in ihren Gesprächen nicht verhandeln werden… höchste Zeit für ein neuerliches 5-Tage-Test-Match der beiden Cricketnationen.)

Am Ende einer worteichen Nacht dauerte es ein paar Minuten nach dem Erwachen, bis ich blind tastend meine Brille fand und erst, nachdem ich sie aufgesetzt hatte, hörte ich das kontinuierliche Strömen des Regens, vom kleinen Balkondach fiel ein dichter Vorhang aus Wasser auf die Balustrade, erzeugte ein Geräusch und fiel ein Stockwerk tiefer. Pausenlos, aber sanft und das milchige Grau des Himmels ist dieses Mal nur dies und keine Projektionsfläche vermeintlicher Ungerechtigkeiten in dieser Welt. Diese verlieren ihre Bedeutung, so dass die tatsächlichen wieder mehr Raum gewinnen. Etwa an jeder zweiten Straßenkreuzung, an die Scheiben des Autos klopfend und an der Kleidung zupfend. Heute sind es langgestreckte und einer sanften Landung entgegenspringende Katzen, die wohltuende Abkühlung bringen… vor zwei Wochen waren es noch Hunde, die einen schutzsuchend zum laufen zwangen und Unverständliches bellten.

The distance from her to eternity ist nun kleiner geworden.

Blick über Delhi hinaus

Blick über Delhi hinaus

I hate luv storys

…lautet der Titel eines derzeit hier im Kino laufenden Bollywood-Films, in dem ein junger Produktionsassistent (Imran Khan), trotz tiefer Abneigung für romantische Liebesfilme, am Dreh eines… genau: romantischen Liebesfilms mitwirkt und nach ungefähr zwei Stunden Film (und gefühlten neun Stunden für den Zuschauer) sich eingestehen muss, in seine… genau: romatisch veranlagte Kollegin und Vorgesetzte am Set (Sonam Kapoor) verliebt zu sein. Als Variation der jahrelang überaus beliebten Schweiz als Drehort für exotische Aussenaufnahmen durfte dieses Mal das schöne Neuseeland herhalten (was in diesem Film jedoch wie eine Großausgabe der Schweiz daherkommt) und nachdem sie ihren bereits als Schwiegersohn in spe akzeptierten Mr. Perfect, realischterweise ein nett-langweiliger Bankanalyst (immerhin stets in wunderschöne Hemden gekleidet), im Regen stehen lässt, finden beide auf der Filmpremiere überraschenderweise zusammen.

Alpenhochburg Bollywood

Alpenhochburg Bollywood

Angesehen habe ich mir diesen knapp dreistündigen Film zu der gewöhnungsbedürftigen Kinozeit um die Mittagsstunde. Gemeinsam mit ein paar Kollegen vom Max Mueller Bhavan, also dem indischen Goethe-Institut, sind wir an den Connaught Place gefahren und suchten bei brüllender Hitze, atemraubenden Staub und unüberwindbar erscheinenden Baustellen einen Weg zum PVR Rivoli. Altes Gebäude von drinnen, modern von innen, die gute alte Unterbrechung nach neunzig Minuten, die üblich laffe Paneer-Fladenrolle und das wohlvertraute Gefühl, dass einige Bollywoodmachwerke im Grunde charmant-witzige, unterhaltsame und leidlich originelle Filme sein KÖNNTEN, wenn sie eben beim Anbrechen der Pause beendet wären. Die Zugabe von über einer Stunde ist oftmals schmerzhaft mitanzusehen und der Drei-Stunden-Filmlänge-Korsettzwang wird nur halbherzig von den Drehbuchautoren verheimlicht. Neben wenigen englischsprachigen, oftmals aus Actionfilmen und Komödien der Hollywood-Traumfabrik bestehenden Streifen wurde in „I hate luv stories“ zu 99 Prozent Hindi gesprochen, das fehlende eine Prozent besteht aus den in die Alltagssprache eingegangenen englischen Redewendungen („I hate to say that, but [Hindi]“, „Oh, how wonderfull!“, „Excellent“…). Selten fiel es mir so leicht, der Geschichte zu folgen, da auch bei einer Unterlegung der Filmbilder mit Texten von William Blake das Zelluloidmaterial sich nicht durch größere Sinnhaftigkeit ausgezeichnet hätte.

Nach gut vier Monaten melde ich mich also zurück mit meinem Blog, zurück aus Indien und der Hauptstadt zurück. Zurück aus dem Land, in dem die Gespräche über das Wetter kein Zeichen von Verlegenheit ist und sich derzeit Sonnenschein mit heftigen Regengüssen abwechselt und die staubige Luft auf Delhis Straßen sich mit gefühlten über neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit vermischt. Kurzum: der Monsun hat begonnen und wird uns wohl bis Mitte September noch zu erfreuen wissen. Die ersten dreieinhalb Monate bin ich sichtbar nicht über den guten Willen hinausgekommen, meinem ersten Eintrag am ersten Tag meiner Ankunft in Delhi („Fängt ja gut an, dachte ich mir“) weitere Berichte, Stimmungen und Erlebnisse folgen zu lassen. Mitte Juni war ich dann für zwei Wochen in Deutschland und haben neben der herrlichen Ablösung des nahezu konstant blauen indischen Himmels und vierzig Grad durch die grauen Wolken und zwanzig Grad Mitteldeutschlands die Tage damit verbracht, mich an das Gefühl, in Salzgitter Urlaub zu machen, zu gewöhnen. Familie und Freunde konnten nur zum Teil besucht werden, dafür gab es Momente, in denen die vierzehn Tage einem Urlaub näher kamen: ausgedehnte Spaziergänge, etwa rund um den Heerter See, Ausflüge nach Herford (ins Marta) und Hornburg, Ausgehen, Shoppen, Kino mit der Stadtkatze und Faulenzen ohne, da sie arbeiten musste.

Rückkehr dann Ende Juni, am Tag, an dem wir Wembley vergessen gemacht haben und uns würdig für die 1:5-Klatsche vor wenigen Jahren in München revanchiert haben… und Tage der erneuten Eingewöhnung an das noch nicht vertraute Indien.

Und Tage der großen Veränderungen.

Nicht nur an meinem derzeitigen Arbeitsbereich, in der Bibliothek des MMB, die wir am 20. Juli mit den neuen Möbeln ein zweites Mal in diesem Jahr wiedereröffnen… sondern vor allem in meinem Leben.

Nach knapp acht Jahren des gemeinsamen Herumstreichens um Häuser-, Länder- und Sofaecken endet der gemeinsame Weg der Stadtkatze mit dem Stadtkater. Die Stadtkatze stellt sich mutig neuen Herausforderungen im Leben und möchte eigentlich ein komplett anderes Leben führen, was der (zu) viele Kilometer entfernte Kater verstehen kann, ihn dennoch derzeit ein wenig ratlos und waidwund zurücklässt. Die Zukunft ist so offen wie schon lange nicht mehr – Straßengraben und Chance zugleich – und neben den tausend Gedanken und vielen Zweifeln, die mir in diesen Tagen durch den Kopf gehen, ist mir der Wunsch nach Freundschaft (am Ende der Partnerschaft) zwischen uns beiden Straßenräubern mit am wichtigsten.

Don't you ever forget

Der Wunsch, Dein zukünftiger Weg möge von mehr Freude im und Glauben ans Leben verbunden sein, ebenfalls.

Enden möchte diesen ersten Blogger-Gehversuch seit Menschengedenken (vier Monate ohne Aktualisierung in einem virtuellen Medium dürften einer Ewigkeit gleichkommen) mit zwei Strophen meines Lieblingsmusikers Bruce Springsteen, der sich in seinem 1980 veröffentlichten Lied „Independence Day“ sehr persönlich und direkt an seinen Vater richtet… ein paar Zeilen dieses schönen und zurückhaltenden Songs wollen mir jedoch momentan nicht aus dem Kopf gehen…

Now I don’t know what it always was with us
We chose the words, and yeah, we drew the lines
There wa
s just no way this house could hold the two of us
I guess that we were just too much of the same kind

So say goodbye it’s Independence Day
It’s Independence Day
All down the line
Just say goodbye it’s Independence Day
It’s Independence Day this time

(Für s.)